Gipsy fehlte uns sehr. Charengo suchte sie noch wochenlang überall, auf jedem unserer einsamen Spaziergänge, bis er sich endlich langsam damit abzufinden schien, ohne seine Kameradin die Welt zu durchstreifen. Ich aber konnte mich einfach nicht daran gewöhnen, dass nur ein einziger Hund um mich herumsprang, das kam mir vor wie eine Waage wo die zweite Waagschale fehlt. Gipsy’s Nachfolgerin musste so bald als möglich bei uns Einzug halten. Doch wer sollte das sein?

Ein Jagdhund kam nicht mehr in Frage, da hatten wir mit Charengo bereits das absolut beste denkbare bei uns. Wie von Geisterhand in mein Hirn gesetzt spukte urplötzlich das Bild einer Deutschen Dogge durch meine Gedanken. Ich wusste nichts, aber auch gar nichts über diese Rasse. Kurzhaarige Hunde waren für mich ohnehin bisher nie in Frage gekommen. Aber plötzlich stand da die Dogge in allen meinen Träumen und ich wusste: Ein neues Hundezeitalter beginnt in unserer Familie!

Noch im gleichen Jahr zog Lilofee bei uns ein: Die blaue Dogge Irma la Duce vom Hause Schleicher wurde auch von Charengo sofort ins Herz geschlossen, sein neues Baby durfte sich alles erlauben mit ihm: Endlos auf ihm herumkraxeln, dicht an ihn geschmiegt einschlafen und wohlig träumen, ihn zu tausend wilden Spielchen herausfordern - noch heute geniesst sie diesen Bonus bei ihm, auch wenn sie längst grösser, schwerer und kräftiger ist als er, und um Welten schneller fliegt im Sprint als er.

An die so spezielle Art der Deutschen Doggen mussten wir uns erst noch gewöhnen. Obwohl auch die Dogge ursprünglich als wendiger, schneller, kräftiger und unerschrockener Jagdhund auf Grosswild gezüchtet wurde, handelt es sich heute um eine völlig andere Kategorie von Hund als alle bisherigen Jagdhunde in unserer Familie. Bei der Deutschen Dogge braucht alles seine Zeit. Die aristokratische Würde, die diese Tiere ausstrahlen ist Ausdruck dieser Wesen, die zwar im Reflex blitzartig reagieren können und dank eingekreuztem Windhundblut im Sprint schnell wie der Wind leichtfüssig über die Wiesen und Felder fliegen, ansonsten aber in allen ihren Reaktionen auf Eindrücke oder Aufforderungen praktisch im Zeitlupentempo agieren und damit uns gestressten Menschen unmissverständlich zu verstehen geben: Nur mit der Ruhe, alles hat seine Zeit!

Unsere blaue Dogge Lilofee ist mittlerweile den Flegeljahren entwachsen. Privilegiert wie wir wohnen am schönen Hallwilersee, konnte sie in ihrer Welpen- und Junghundezeit auf ihren täglichen Streifzügen und Entdeckungstouren in der freien Natur nach Herzenslust herumstöbern, den Fährten nachspüren von den unzähligen Lebewesen die tags und nachts vorbeiziehen, das Wasser kennenlernen mit Wind und Wellen, Baumstämme erklimmen, Bachtobel überspringen wie im Flug, durchs Dickicht streifen, Schwäne mit ihren Jungtieren bestaunen, Eichhörnchen verbellen, den vielen Vögeln, Schmetterlingen und Bienchen nachjagen, wie auch den Herbstblättern im Sturm, den Schneeflocken im tiefen Winter. Kein Hang zu steil, kein Fels zu hoch, kein Wasser zu tief für Lilofee, um sich nicht daran zu versuchen.

Lilofee hatte sich zu einer aussergewöhnlichen Schönheit entwickelt: Der eher kleine, zierliche Typ, in allen ihren Bewegungen harmonisch und edel, leichtfüssig mit dem typischen, eleganten, federnden Gang der Deutschen Dogge. Im Verhalten sehr ausgeglichen, an Menschen und allen Tieren sehr interessiert, noch immer etwas stürmisch bei der Begrüssung, was sich dann aber jeweils bald legte und einer ruhigen Freundlichkeit Platz machte. Wenn ein anderer Hund mal nicht mit ihr spielen mochte, stand sie leicht konsterniert und enttäuscht da, schien für eine Weile die Welt nicht mehr zu verstehen und trottete dann weiter. Sie liebt auch Schmusestündchen oder kleine Fang-Spielchen mit unseren Katzen, die immer wieder aktiv den Kontakt suchen zu unserer Fee.

Zu unserem Weimaraner-Rüden hat sie eine tiefe Freundschaft entwickelt, oft schlafen die beiden eng aneinander gekuschelt, und auf unseren Spaziergängen sind die zwei ein echtes Teamgeworden in Sachen Entdeckungstouren, Jagdabenteuer und aufstöbern von irgend etwas fressbarem. Nur wenn sie ihn echt herausfordert, so hat er regelmässig das Nachsehen: Sie ist schneller, mutiger, neugieriger, stärker und frecher als er, und geniesst bei ihm wohl noch immer den Welpenbonus – oder ist es vielleicht inzwischen der Hündinnenbonus?