Ein glücklicher und seltener Zufall will es, dass ich heute die Adulthäutung unseres vierten und letzten Extatosoma tiaratum Nachzucht-Männchens beobachten kann. Diese vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiven Phasmiden häuten sich meist nachts im Schutz von Dunkelheit und ungestörter Ruhe. Dennoch, heute zeigt sich mir die ungewöhnliche Situation, dass dieses Männchen bereits Mitte Nachmittag mit seiner Häutung begonnen hat, und bei einem zufälligen Blick ins Terrarium erkenne ich sofort diese weissliche, bereits fast vollständig vom Körper abgelöste Haut, in welcher das Tierchen noch weitestgehend drinnen steckt. Eben hat das Insekt seinen Thorax mit den noch dicken, zusammengefalteten Flügeln aus der in diesem Bereich bereits aufgerissenen Exuvie hindurch gezwängt.


Adulthutung 1


Nachdem das Tierchen schliesslich seinen ganzen Kopf, das Brustsegment mitsamt Flügeln und den vorderen Teil seines Abdomens und der Beine aus seiner alten, zu klein gewordenen Haut befreit hat, beginnt die Phasmide nun als nächstes unter enormer, sehr zeitintensiver und sichtlich kräftezehrender Anstrengung seine Vorderbeine und die langen, dünnen Antennen aus der Hülle herauszuziehen. Während der gesamten Prozedur in diesem ersten Teil der Häutung hängt das Insekt kopfunter an der Exuvie.


Adulthutung 2


Nachdem schliesslich beide Antennen und alle drei Beinpaare mit Glück und unter grösster Anstrengung vollständig aus der alten Haut befreit sind, beginnt das Tierchen seine zunächst noch sehr kleinen, eng zusammengefalteten und sehr dick, gar fleischig anmutenden zwei Flügelpaare weit vom Thorax abzuspreizen und dann langsam immer mehr zu strecken, so dass die unzähligen Falten und Einrollungen sich langsam auseinanderzufalten beginnen. Das Hinterteil wird nun ebenfalls langsam und stetig aus der alten Haut herausgezogen, dehnt sich dabei sehr stark in die Länge, bleibt aber noch immer mit dem hintersten Ende in der Exuvie stecken - diese Haftung ist bis zu diesem Zeitpunkt der einzige und letzte Haltepunkt für das ganze Tier.


Adulthutung 3


Plötzlich und sehr überraschend für mich schwingt sich das ganze Insekt nun mit dem Vorderkörper nach vorne oben, und sucht mit seinen dünnen, langen Vorderbeinen neuen Halt zunächst am inzwischen fast gänzlich leeren Körperteil der alten Haut, etwas später dann weiter oben am dünnen Brombeerzweig, wo ja auch die alte Haut mit den leeren Fussklauen festgekralllt noch hängt.


Adulthutung 4


Und damit ist nun der Moment gekommen, wo das Insekt auch den hintersten Teil seines Abdomens vollständig aus der alten Exuvie ziehen kann und danach bald gänzlich gestreckt, losgelöst von seiner alten Haut, an seinen gestreckten Vorderbeinen am Zweig hängt. Und nun kann die letzte offensichtliche und sehr beeindruckende Verwandlung beginnen: Die Entwicklung, Entfaltung und Streckung der beiden Flügelpaare.


Adulthutung 5


Im Unterschied zu den weiblichen Gespenstschrecken, können die Männchen fliegen. Sie besitzen sehr lange Flügel, welche fast bis zum Abdomenende reichen und die Männchen dazu zwingen, ihren dünnen, stabförmigen Körper langgestreckt und ganz gerade zu halten, während die nicht flugfähigen Weibchen mit ihren relativ kurzen, ovalären Flügeln ihr schweres und dickes, den gesamten Legeapparat enthaltendes Abdomen ähnlich wie Skorpione nach hinten oben aufgerollt tragen - deshalb die Bezeichnung "Skorpion-Gespenstschrecke" für diese Phasmiden-Art.


Adulthutung 6


Die direkt nach der Häutung sehr dick und fast fleischig wirkenden Flügelpaare entfalten sich nun zunehmend, werden immer dünner und durchscheinender, und sehen in dieser Phase zunächst aus wie ein zeltartig über dem Abdomen gewölbtes, viel zu grosses "Nachthemd". Diese zeltartig aufgeplusterten Flügelpaare strecken sich dann aber immer mehr, und das hintere Flügelpaar wird schliesslich zart und sehr filigran, lang und schmal.


Adulthutung 7


Mit zitternden Bewegungen der Flügel, abwechselnd mit schlangenartig anmutenden Bewegungen des Abdomens, spreizt das Tierchen nun immer mal wieder seine Flügel und richtet sie damit korrekt aus. Schliesslich bedecken die hinteren Flügel schmal und langgestreckt und dem Körper eng anliegend nahezu die gesamte Länge des Hinterleibes. Das Längenwachstum des Tierchens ist damit nach etwa drei Stunden harter Arbeit weitgehend abgeschlossen, jedoch wirkt die frisch gehäutete Phasmide noch sehr hell, die neue Haut ist noch feucht und weich und benötigt weitere Stunden um vollständig durchzutrocknen und auszuhärten. In dieser sehr vulnerablen Phase benötigt die Phasmide ungestörte Ruhe und Schutz - was ich respektiere und das fotografieren und die dazu notwendige intermittierende helle Beleuchtung nun definitiv einstelle.





Adulthutung 8